BASF-Bericht 2021

Story

Ein neues Leben für Kunststoffe

Die Menschheit lebt auf Pump. Und das Ausmaß lässt sich ganz konkret in Zahlen fassen: Im Jahr 2021 war nach 210 Tagen jenes Guthaben aufgebraucht, das die Natur in Form von nachwachsenden Ressourcen zur Verfügung stellt. Oder anders formuliert: Es bräuchte rechnerisch 1,7 Erden, um den derzeitigen globalen Bedarf an Rohstoffen zu decken. Gleichzeitig hat die Welt ein gewaltiges Müllproblem. Laut einer Studie der Weltbank summierte sich die globale Abfallmenge zuletzt auf über 2 Milliarden Tonnen pro Jahr. Bis 2050 könnte dieser Wert um 70 Prozent auf 3,4 Milliarden Tonnen ansteigen.

So vielfältig die Ursachen und negativen Folgen für den Planeten sind, so klar und gleichzeitig komplex ist der Ausweg: „Wir müssen Ressourcenverbrauch und Wachstum voneinander entkoppeln“, sagt Talke Schaffrannek, bei BASF zuständig für Kreislaufwirtschaft. Gelingen kann dies nur durch einen Paradigmenwechsel – weg vom derzeit vorherrschenden linearen Wirtschaftsmodell mit seinem „Nehmen-Nutzen-Entsorgen“-Ansatz hin zu einem System der geschlossenen Kreisläufe mit drei zentralen Prinzipien: Verringerung des Ressourcenbedarfs und der Abfallmenge (Reduce), Wiederverwendung von Ressourcen und Materialien (Reuse) sowie Rückführung von Abfällen in den Kreislauf (Recycle). 

„Die chemische Industrie kann bei diesem Wandel eine Vorreiterrolle übernehmen. Zum einen, weil sie bei der Produktion selbst Ressourcen verbraucht und Abfälle entstehen. Zum anderen, weil viele Produkte und Technologien der chemischen Industrie einen effizienteren Umgang mit Ressourcen ermöglichen und Lücken in Kreisläufen schließen können“, so Schaffrannek.

Ressourcenhunger und Wegwerfmentalität moderner Gesellschaften

Jede Sekunde wird rund eine LKW-Ladung voll mit Textilien deponiert oder verbrannt (Quelle

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Ressourcenhunger und Wegwerfmentalität moderner Gesellschaften

Weltweit entstehen jährlich mehr als 53 Millionen Tonnen Elektroschrott, was einem Gewicht von 5.300 Eifeltürmen entspricht (Quelle)

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Ressourcenhunger und Wegwerfmentalität moderner Gesellschaften

Auf 6.000 Kilometer ließen sich die jährlich in Europa entsorgten 30 Millionen Matratzen stapeln (Quelle)

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Ein Verfechter des Konzepts, Abfälle nicht zu entsorgen, sondern als Rohstoffe zu verwenden, war bereits Mitte des 19. Jahrhunderts BASF-Gründer Friedrich Engelhorn. Seine Idee: Die Produktion von synthetischen Farbstoffen aus Steinkohlenteer – einem Abfallprodukt bei der Leuchtgas-Herstellung. Schon früh erkannte er, dass es wirtschaftlich sinnvoll ist, sich nicht nur auf die reine Farbstoff-Herstellung zu konzentrieren, sondern auch die Produktion der benötigten Vor- und Zwischenprodukte zu integrieren. Und so entstand in Ludwigshafen das Verbundkonzept, das bis heute prägend ist für BASF. Durch die intelligente Verknüpfung und Steuerung von Anlagen in einer Verbundstruktur ermöglicht es effiziente Wertschöpfungsketten. Zum Beispiel, indem Nebenprodukte einer Fabrik an anderer Stelle als Einsatzstoffe verwendet werden. Dies spart Rohstoffe und Energie, reduziert Emissionen und senkt Logistikkosten.

„Durch unser Verbundkonzept sind der Kreislaufgedanke und der effiziente Umgang mit Ressourcen bereits seit mehr als 150 Jahren tief im Unternehmen verankert“, so Schaffrannek. Um die Ausrichtung auf Zirkularität weiter zu stärken, wurde im Jahr 2020 ein neues, unternehmensweites Programm zur Kreislaufwirtschaft ins Leben gerufen. Im Fokus stehen dabei drei Handlungsfelder: der verstärkte Einsatz von recycelten und erneuerbaren Rohstoffen, die Entwicklung innovativer Materialzyklen und der Aufbau neuer Geschäftsmodelle für die Kreislaufwirtschaft.

„Bis zum Jahr 2030 wollen wir den Umsatz mit Lösungen für die Kreislaufwirtschaft auf 17 Milliarden € verdoppeln. Bereits ab 2025 wollen wir zudem jährlich 250.000 Tonnen recycelte und abfallbasierte Rohstoffe anstelle von fossilen Rohstoffen in unserer Produktion einsetzen“, skizziert Schaffrannek die Ziele – die auch Teil des BASF-Engagements in globalen Initiativen wie der Alliance to End Plastic Waste oder der Ellen MacArthur Foundation sind. „Ein Augenmerk gilt dabei der Wertschöpfungskette für Kunststoffe. Denn Plastikabfälle in der Umwelt sind zum Sinnbild der modernen Wegwerfgesellschaft geworden. Diese globale Herausforderung müssen wir gemeinsam angehen“.

Durch unser Verbundkonzept sind der Kreislaufgedanke und der effiziente Umgang mit Ressourcen bereits seit mehr als 150 Jahren tief im Unternehmen verankert

Talke Schaffrannek (Foto)
Talke Schaffrannek

Ein Teil der Lösung liegt dabei im verbesserten Recycling von Kunststoffen. „In der Diskussion um Plastikmüll wird häufig vergessen, dass Kunststoffe in der Herstellungs- und Nutzungsphase große Vorteile bieten. Sie lassen sich vergleichsweise günstig und ressourceneffizient produzieren, zudem sind sie vielfältig einsetzbar. Zum Beispiel schützen sie Nahrungsmittel vor dem Verderben, machen Autos leichter oder dämmen Häuser. Deshalb sind Kunststoffe ein wichtiger Baustein auf dem Weg in eine nachhaltigere Zukunft“, so Schaffrannek. „Damit Kunststoffe ihren vollen Nutzen entfalten können, müssen wir uns aber künftig noch stärker auf das Ende des Produktlebenszyklus konzentrieren, wo negative Effekte wie die unsachgemäße Entsorgung die Gesamtbilanz trüben. Wir müssen Kunststoffe als das begreifen, was sie sind, nämlich Wertstoffe, die es zu recyceln gilt.“

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BASF arbeitet gemeinsam mit Partnern wie Quantafuel daran, die Pyrolyse-Technologie weiterzuentwickeln und zu optimieren.
BASF arbeitet gemeinsam mit Partnern wie Quantafuel daran, die Pyrolyse-Technologie weiterzuentwickeln und zu optimieren.

Kreisläufe schließen durch chemisches Recycling

Global gesehen geschieht dies heute noch viel zu selten. Lediglich 20 Prozent der weltweit jährlich rund 250 Millionen Tonnen Kunststoffabfälle werden derzeit wiederverwertet – zum einen, weil es vielerorts noch an funktionierenden Sammel- und Sortiersystemen fehlt. Zum anderen, weil sich das konventionelle mechanische Recycling nicht für alle Abfallströme gleichermaßen eignet. Deshalb werden stark durchmischte oder verunreinigte Kunststoffabfälle fast immer verbrannt oder deponiert. „Hier setzt das chemische Recycling an, wie es BASF im Projekt ChemCycling™ vorantreibt,“ so Christoph Gahn, der die gleichnamige Einheit leitet.

Das ChemCycling™-Grundprinzip ist einfach erklärt: In einem ersten Schritt zerlegen Technologiepartner gemischte Kunststoffabfälle und Altreifen in ihre chemischen Grundbausteine. Am Ende dieser sogenannten Pyrolyse entsteht Pyrolyseöl. Dieses Pyrolyseöl kann BASF als Ersatz für fossile Rohstoffe in den Verbund einspeisen und daraus Produkte in Neuware-Qualität herstellen. Die Zuordnung des Recycling-Anteils zum Endprodukt erfolgt über einen zertifizierten Massenbilanz-Ansatz. „Chemisches Recycling ist kein Ersatz für das mechanische Recycling. Es ist vielmehr ein zusätzliches Verfahren für Abfallströme, die bislang aus technologischen, ökonomischen oder ökologischen Gründen nicht mechanisch recycelt werden“, so Gahn.

Das Prinzip der Massenbilanzierung

 Die Massenbilanzierung in der chemischen Industrie funktioniert wie beim Ökostrom: Der Endabnehmer weiß zwar nicht, ob exakt jener Strom, den er im eigenen Haushalt verbraucht, aus erneuerbaren Quellen stammt. Doch mit steigender Nachfrage steigt auch der Gesamtanteil von ökologisch erzeugtem Strom im Netz. Diesem Prinzip folgend werden in der chemischen Industrie recycelte oder biobasierte Rohstoffe am Anfang der Wertschöpfungsketten in die Produktion eingespeist und rechnerisch den Endprodukten zugeordnet. Diese kalkulatorische Zuordnung bietet viele Vorteile: Treibhausgasemissionen werden reduziert und fossile Rohstoffe eingespart, während Produktqualität und -eigenschaften gleichbleiben. Die Produkte lassen sich von BASF-Kunden genauso weiterverarbeiten wie herkömmlich hergestellte Stoffe. So müssen weder Formulierungen noch Anlagen oder Prozesse angepasst werden. Der Kunde, der massenbilanzierte Produkte kauft, kann sie wie gewohnt einsetzen und profitiert von der gleichen Qualität. Unabhängige Institute auditieren die Allokation – also die rechnerische Zuordnung des nachhaltigen Rohstoffs zum Endprodukt.

Video Fallback (Foto)
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Seit Anfang 2020 vermarktet BASF Produkte auf Basis von chemisch recyceltem Pyrolyseöl. Inzwischen zählt das Portfolio rund 50 Produkte, die BASF-Kunden beispielsweise zur Herstellung von Transportboxen für temperatursensitive Güter wie Impfstoffe oder Fisch nutzen, im Automobilbau einsetzen oder in Funktionstextilien weiterverarbeiten. „Unser Ziel ist es, das Portfolio an CcycledTM-Produkten in den kommenden Jahren kontinuierlich auszubauen“, so Gahn. Um die hierfür benötigte Versorgung mit Pyrolyseöl stetig zu verbessern und die Marke von 250.000 Tonnen recycelten und abfallbasierten Rohstoffen zu erreichen, arbeitet BASF eng mit zahlreichen Partnern entlang der Wertschöpfungskette zusammen. Hierzu zählen die auf die Herstellung von Pyrolyseöl spezialisierten Unternehmen Quantafuel, New Energy und Pyrum. Das ambitionierte gemeinsame Ziel: Die Weiterentwicklung und Skalierung der Technologie, um so künftig mehr Wertstoffe im Kreislauf zu halten.

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Mechanisches Recycling von Kunststoffen weiter verbessern

 An diesem Ziel arbeiten bei BASF auch zahlreiche Teams der Geschäftseinheit Kunststoffadditive des Unternehmensbereichs Performance Chemicals. Im Fokus stehen dabei Lösungen, mit denen sich durch mechanisches Recycling zurückgewonnene Kunststoffe aufwerten lassen – um dann in gleich- oder sogar höherwertigen Produkten wieder eingesetzt zu werden. „Das mechanische Recycling hat sich in den vergangenen Jahren stark verbessert, da es einen sehr geringen CO2-Fußabdruck hinterlässt. Die Kernherausforderungen sind Verunreinigungen und mindere Polymerqualität, die den Wiedereinsatz derzeit einschränken können,“ erläutert Volker Bach, Leiter des Global Competence Center Plastics Additives von BASF.

Innovationen aus der Chemie können helfen, diese negativen Begleiterscheinungen des mechanischen Recyclings auszugleichen. So zum Beispiel die im Jahr 2021 von BASF am Markt eingeführten IrgaCycle™ Kunststoffadditive. Mit ihnen lassen sich Qualitätsprobleme von Rezyklaten beheben, dazu gehören eingeschränkte Verarbeitbarkeit, verminderte thermische Langzeitstabilität und unzureichende Witterungsbeständigkeit – selbst wenn der Anteil des Rezyklats im Endprodukt erhöht wird. Zudem tragen Stabilisatoren dazu bei, dass Kunststoffe nicht nur über einen, sondern über mehrfache Zyklen wiederverwertet werden können.

Kunststoffadditive (Foto)
„Innovation ist zweifellos der Schlüssel zum Erfolg auf dem Weg in eine zirkuläre Zukunft“

„Insgesamt arbeiten BASF-Teams derzeit in über 35 vielversprechenden Initiativen an neuen Rohstoffpfaden, Materialkreisläufen und Geschäftsmodellen“, so Schaffrannek. Die Bandbreite reicht von innovativen Verfahren zum chemischen Recycling von Matratzen über kompostierbare Kunststoffe bis hin zu neuen Technologien wie die mobile Nahinfrarot-Spektroskopie oder die digitale Wasserzeichentechnologie. Letztere ermöglichen eine bessere Sortierung und Nachverfolgung verschiedener Kunststoffarten. „Innovation ist zweifellos der Schlüssel zum Erfolg auf dem Weg in eine zirkuläre Zukunft“, so Schaffrannek. Aber bei weitem nicht alles: „Erst wenn alle gesellschaftlichen Akteure ihre Denkweisen und Verhaltensmuster grundlegend hinterfragen und ändern, können neue Wege der nachhaltigen Wertschöpfung entstehen.“

Kreislaufwirtschaft: Renaissance eines bewährten Konzepts

Das Konzept der Kreislaufwirtschaft ist so alt wie die Erde selbst. Fast alle natürlichen Stoffkreisläufe und Ökosysteme funktionieren nach dem Konzept der kontinuierlichen Selbsterneuerung. Über viele Jahrtausende hinweg haben landwirtschaftlich geprägte und auf Eigenversorgung ausgerichtete Gesellschaften auf diese Weise im Einklang mit der Natur gelebt. Erst mit der industriellen Revolution veränderte sich die Art des Wirtschaftens grundlegend – mit vielen positiven, aber auch negativen Folgen wie Umweltverschmutzung, Klimawandel und Erschöpfung endlicher Ressourcen. Seit den 1960er-Jahren rückt daher das Konzept der Kreislaufwirtschaft wieder in den Fokus – zunächst in der Wissenschaft und immer stärker auch in der Wirtschaft, Gesellschaft und Politik. Heute haben viele Unternehmen, Städte, Staaten und Staatengemeinschaften das Konzept der Kreislaufwirtschaft in ihre Entwicklungsstrategien integriert. So zum Beispiel die Europäische Kommission, die das Modell der Kreislaufwirtschaft im Rahmen des „European Green Deal“ als wichtige Säule des nachhaltigen Wachstums versteht.

Verbund
Im BASF-Verbund sind Anlagen intelligent verbunden. In diesem System laufen chemische Prozesse mit geringem Energieeinsatz und hoher Produktausbeute ressourcenschonend ab. Die Nebenprodukte einer Anlage dienen an einer anderen Stelle als Einsatzstoff, wodurch effiziente Wertschöpfungsketten entstehen – von Grundchemikalien bis hin zu hochveredelten Produkten wie Lacken oder Pflanzenschutzmitteln. Unser Verbundprinzip – bei Produktion, Technologien, dem Markt und in der Digitalisierung – ermöglicht innovative Lösungen für eine nachhaltige Zukunft.
Wertschöpfungskette
Als Wertschöpfungskette wird die Aufeinanderfolge von Veredlungsschritten im Produktionsprozess bezeichnet, angefangen bei den Rohstoffen über verschiedene Zwischenstufen wie Transport und Produktion bis zum fertigen Endprodukt.